Ein Hauch von Broadway in Baden
Interview mit Andreas GergenSeit Herbst ist Andreas Gergen offiziell der neue künstlerische Leiter der Bühne Baden. Im Interview spricht er über seine Liebe zum Musiktheater, seine künstlerische Vision und die spannende Zukunft, in die er die Bühne Baden führen will.
Theater bzw. Musiktheater als Beruf – war das für dich immer schon ein klar definierter Wunsch oder eher eine glückliche Fügung?
Der Wunsch, Geschichten zu erzählen, die Menschen berühren, war immer da. Aber dass das Musiktheater einmal zu meinem Beruf und Lebensmittelpunkt werden würde, war zunächst nicht geplant – eher ein Weg voller glücklicher Fügungen. Meine Eltern hatten einen Bäckereibetrieb, in dem ich als Kind schon anpacken musste. Trotzdem haben sie mir Klavierunterricht ermöglicht und mich in verschiedenen Chören singen lassen. In der Schule engagierte ich mich in der Theater-AG. Sobald ich einen Führerschein hatte, gab es kein Halten mehr und ich fuhr ins Staatstheater, um dort im Extra-Chor, Ballett, in kleinen Rollen und auch schon als Regieassistent erste professionelle Theatererfahrungen zu sammeln. Daraus ergab sich dann 1995 ein Musicalstudium in Berlin, das ich vier Jahre später mit Auszeichnung abschloss.
Nach ersten Rollen, u.a. bei Disney‘s Der Glöckner von Notre Dame im Theater am Potsdamer Platz in Berlin, begann ich bereits mit eigenen Regiearbeiten, die mich auch nach Österreich führten. 2002 inszenierte ich das Musical Der kleine Horrorladen im Wiener Metropol. Die Produktionen wurden schließlich größer und ich erweiterte mein Spektrum um Oper, Operette und Schauspiel. Mittlerweile kann ich auf mehr als 100 Inszenierungen zurückblicken. Ich habe sehr früh gespürt, dass Theater ein Raum ist, in dem ich mich ausdrücken kann – emotional, politisch, künstlerisch. Und das Musiktheater bietet für mich die größte Ausdrucksvielfalt: Es verbindet Schauspiel mit Gesang und Tanz – und kann im besten Fall Welten erschaffen, die unter die Haut gehen.
Erinnerst du dich an das erste Musical, das du gesehen hast?
Ja, das war Das Phantom der Oper in Hamburg 1993. Ich saß ganz hinten in der letzten Reihe, konnte die Vorstellung also nicht in vollem Umfang genießen – aber irgendetwas hat mich trotzdem gepackt. Am nächsten Tag habe ich mir dann spontan eine Karte für Cats im Operettenhaus gekauft – und das war eine Offenbarung. Die Intensität, das immersive Konzept, dass die Katzen auch im Zuschauerraum agieren – das hat mich regelrecht elektrisiert. Ich habe da zum ersten Mal erlebt, wie stark Musiktheater sein kann, wenn es die Distanz zum Publikum aufhebt.
Du kannst auf zahlreiche Inszenierungen an unterschiedlichen Häusern zurückblicken, aber jetzt hast du dich für die künstlerische Leitung eines Hauses entschieden...
Ich habe ja bereits von 2011 bis 2017 als Operndirektor am Salzburger Landestheater in der Theaterleitung gearbeitet. Außerdem habe ich in Berlin das Schlossparktheater als Intendant und Geschäftsführer geleitet. Mir war also bewusst, dass sich die Arbeit eines Künstlerischen Leiters von der des Regisseurs grundsätzlich unterscheidet. Als Regisseur denkt man projektbezogen – als Leiter eines Hauses denkt man in Jahreszyklen, Ensembleentwicklungen, Publikumserwartungen und langfristigen Visionen. Eine Überraschung im besten Sinne ist das große Engagement des Teams in Baden. Ich bin mit vielen Ideen gekommen – und habe Menschen getroffen, die offen dafür sind, diesen Weg mitzugehen. Das ist nicht selbstverständlich.
Du hast als neuer künstlerischer Leiter einige Änderungen bei den Ensembles vorgenommen, so gibt es statt dem Ballett ein Tanzensemble, dafür sind die Young Artists neu dazugekommen. Wieso diese Entscheidungen?
Mir ist wichtig, die künstlerischen Strukturen der Bühne Baden den Anforderungen des heutigen Musiktheaters anzupassen. Ein Tanzensemble, das neben seiner Hauptdisziplin „Tanz“ auch „Gesang“ und „Schauspiel“ beherrscht, ermöglicht eine größere stilistische Bandbreite – sowohl für das Genre „Musical“, als auch die „Operette“. Die Young Artists wiederum sind eine wirkliche Herzensangelegenheit: Ich sehe in ihnen nicht nur Nachwuchs, sondern Impulsgeber. Junge Stimmen, neue Perspektiven, frische Energie – das brauchen wir, wenn wir wirklich zeitgemäßes Musiktheater machen wollen.
Was fasziniert dich besonders am Musical? Und warum hast du entschieden, die Bühne Baden verstärkt in diese Richtung zu entwickeln?
Das Musical ist für mich das vitalste Format im Musiktheater. Es hat keine Scheu vor großen Gefühlen, es ist schnell, politisch, poetisch – je nach Stoff. In Baden sehe ich die Chance, dem Musical eine neue Heimat zu geben: mit hoher Qualität, mit künstlerischem Anspruch, aber auch mit Lust am Erzählen. Mein Ziel ist ein Musiktheater, das sowohl unterhält als auch berührt – und das sich nicht scheut, Haltung zu zeigen. Es kann ein breites Publikum erreichen, ohne an Tiefe einbüßen zu müssen. Die Bühne Baden hat das Potenzial, in diesem Bereich ein starker Player in Österreich zu werden – mit einem eigenen Profil und überregionaler Strahlkraft. Ich möchte das Musical hier nicht nur spielen, sondern ernst nehmen: als Kunstform mit ästhetischem Anspruch und von gesellschaftlicher Relevanz.
Stichwort Wien-Nähe: Siehst du die eher als Konkurrenz oder Potenzial?
Ganz klar als Potenzial. Wir sind nahe genug, um für das Wiener Publikum attraktiv zu sein – aber auch eigenständig genug, um ein bewusst anderes Angebot mit starker künstlerischer Handschrift zu schaffen. Wir können bewusst einen neuen und individuellen Akzent setzen – etwas Persönlicheres, vielleicht auch Mutigeres anbieten. Wir wollen keine kleine Kopie Wiens sein, sondern ein eigenständiger Ort für innovatives Musiktheater mit Charakter.
Baden hat eine lange Tradition als Operettenstadt. Wie möchtest du mit diesem Thema umgehen, dieses Genre pflegen? Hast du da schon Ideen für die kommenden Spielzeiten, die du verraten darfst?
Die Operette gehört zur DNA dieses Hauses – das will und werde ich nicht ändern. Aber ich möchte die Werke lebendig halten, sie aus dem reinen Nostalgie-Korsett befreien und neue Sichtweisen finden – mit Respekt vor dem Genre, aber auch Relevanz für ein heutiges Publikum. Und ja: Für die kommenden Spielzeiten gibt es bereits einige spannende Operettenideen - von einer Operetten-Uraufführung über beliebte Klassiker bis hin zu unbekannteren Werken in überraschenden Aufführungskonzepten.
Operette und Musical – das wird oft als Gegensatz präsentiert. Siehst du das auch so? Kann man das Publikum des einen Genres für das andere begeistern? Und wie möchtest du das bewerkstelligen?
Ich sehe keine Gegensätze, sondern eher zwei Seiten derselben Medaille. Beide Genres arbeiten mit Musik, Emotionen und spannenden Geschichten – sie erzählen vom Leben, nur mit unterschiedlichen Mitteln. Ich glaube, man kann Brücken bauen, wenn man Qualität liefert und Geschichten findet, die verbinden. Ich bin mir sicher, dass unser Operettenpublikum auch Gefallen an den Musicals finden wird – und umgekehrt. Es geht darum, Neugier zu wecken – und das Publikum mit auf eine Reise zu nehmen, bei der es immer wieder etwas Neues entdeckt.
Welche Stücke fehlen dir noch auf deiner persönlichen Wunschliste? Und gibt es vielleicht sogar Stoffe, die deiner Meinung nach unbedingt im Musiktheater erzählt werden sollten, aber noch nicht geschrieben worden sind?
Natürlich habe ich eine Wunschliste – eine ganze Schatztruhe an Stoffen, Visionen und Herzensprojekten. Aber ich möchte an dieser Stelle noch nichts verraten. Nicht, weil ich mich geheimnisvoll geben will, sondern weil ich überzeugt bin, dass jedes Stück seinen eigenen Moment braucht – und dass die Kunst manchmal am stärksten wirkt, wenn sie nicht als Ankündigung, sondern als Entdeckung daherkommt.
Was ich aber mit Sicherheit sagen kann: Mir ist es ein besonderes Anliegen, die Bühne Baden zu einem Ort zu machen, an dem Deutschsprachige und Österreichische Erstaufführungen ganz selbstverständlich zum Spielplan gehören. Ich möchte dieses Haus zu einem kreativen Hotspot ausbauen, wo nicht nur die gelebte Erinnerungskultur der Operette liebevoll gepflegt wird, sondern auch ein neuer Begriff von Gegenwart entsteht. Als erste Adresse für Musiktheater, das Fragen stellt, das mutig ist, das in Österreich und Europa neue Wege geht.
Deshalb sind auch große Stückentwicklungen in Form von Uraufführungen in Planung – Produktionen, die hier zum ersten Mal das Licht der Bühne erblicken werden. Und ich verspreche: Es wird überraschend, emotional, diskursfreudig – und nie beliebig. Die Bühne Baden soll ein Ort werden, an dem Geschichten nicht nur erzählt, sondern erlebt werden. Ein Theater, das sich nicht im Repertoire erschöpft, sondern immer wieder neu fragt: Was wollen wir heute erzählen? Und warum?