Zerbrochenes wird wieder heil
Ein Gespräch mit Henry Mason über DIE LUSTIGE WITWEHenry Mason inszeniert in Baden Franz Lehárs berühmteste Operette. Im Interview spricht er über die großartige Musik und das brillante Libretto, aber auch darüber, warum er manche Passagen sanft entstaubt hat.
DIE LUSTIGE WITWE ist die berühmteste Operette Lehárs. Wie so ein Stück inszenieren und gleichzeitig einen neuen Zugang finden? Wie legen Sie die Inszenierung an?
Unsere WITWE spielt Ende der 40er Jahre in Paris. Eine zerstörte Stadt, in der Hunger auf Leben herrscht, eine Stadt im Wieder-Aufkeimen, in der aber auch die Altlasten noch spürbar sind, emotionale und finanzielle Wunden, die nicht verheilt sind; dazu kommt der drohende Kollaps des fiktiven Staates Pontevedro. Und dennoch blicken die Menschen nach vorne anstatt zurück. Man wird das an den Kostümen sehen, die zum Teil schon in Richtung 50er Jahre gehen, vor allem bei Hanna Glawari, der „lustigen Witwe“ selbst. In Hannas Kostümen erahnt man bereits den New Look des Christian Dior, der im Kontrast zu den älteren Moden der anderen Figuren steht. Aber auch im Bühnenbild: Wir arbeiten auf dem Boden des zerstörten Paris, auf dem aber wieder etwas Schönes aufgebaut wird. Im starken Kontrast dazu steht ein riesiger, romantischer Luster, der in unterschiedlichen Konstellationen durch alle drei Akte wandert, als Sinnbild für Hoffnung und Romantik – vielleicht auch für die alte Operettenseligkeit?
Was ist für Sie das Spannendste an dieser Operette?
DIE LUSTIGE WITWE hat zurecht die Welt erobert. Da ist zunächst einmal natürlich die Musik: Eine Partitur voller Gassenhauer, in der sich ein Glücksmoment an den nächsten reiht, dazu das flinke und witzige Libretto. Musik und Text ergänzen einander perfekt, voller Ironie und Tiefgang. Es ist eine brillant geschriebene Komödie mit tollen Dialogen. Mit Hanna und Danilo, dem zentralen Liebespaar, haben Franz Lehár, Victor Léon und Leo Stein Theaterfiguren geschaffen, die sich so frisch und heutig anfühlen wie am ersten Tag. Sie sind das perfekte Paar. Beide finden die generell gültigen und allgemein akzeptierten gesellschaftlichen Regeln albern und wissen gekonnt damit zu spielen; mehr noch: Sie mokieren diese Gesellschaft regelrecht. Die beiden sind wie füreinander geschaffen, haben aber berechtigte Angst, alte Wunden wieder aufzureißen. Es geht um Stolz, um Verletzungen, Ängste und Rachegelüste – und darüber, wie schwer es sein kann, über den eigenen Schatten zu springen. Ihnen gegenüber steht ein Paar, Zeta und Valencienne, deren Ehe zur bloßen Behauptung verkommen ist – sowie Valenciennes Liebhaber Camille de Rosillon, dessen Träume und romantische Fantasien an der Realität scheitern.
Operette gilt oft als verstaubt und altmodisch. Wie ist Ihre Meinung dazu?
Léon und Steins Dialoge sind vor feinster Situationskomik und über weite Strecken nicht weniger prickelnd als Lehárs Partitur. Nur ab und zu wirken sie veraltet. Ich respektiere dieses Stück sehr, aber es ist 120 Jahre alt, und das merkt man an so manchem Kalauer und Altherrenwitz. Trotz starker zentraler Frauenfigur ist das Stück von Männern geschrieben worden, und das wird an manchen Stellen sehr offensichtlich. Ich habe mich viel damit auseinandergesetzt, wie man das entschärfen kann, ohne die Raffinesse dieser in anderen Belangen so gelungenen Komödie aus dem Gleichgewicht zu bringen. Manches kann man natürlich weglassen; manches kann man umtexten; manches kann man versuchen, in ein neues Licht zu rücken. Ziel soll sein, dass der Geschlechterkampf im Stück wirklich auf Augenhöhe ausgetragen werden kann. Ich habe die Spielszenen für die Badener Produktion behutsam abgestaubt, sie um ein paar neue Ideen ergänzt und die Pointen nachgeschärft.
Gibt es ein Beispiel?
Zum Beispiel beim so genannten „Weibermarsch“, in dem sich sieben Herren am Mysterium Frau abreagieren und dabei das historisch beliebte Klischee des zwangsläufig untreuen „Weibs“ strapazieren. Das Wort „Weib“ war früher ein neutraler Begriff, gilt aber heute als abwertend. Duden nennt die Bezeichnung „diskriminierend“, Wikipedia „ein Schimpfwort“. Sprache verwandelt sich, ob das allen passt oder nicht. Ich habe „Weib“ mit „Frau“ ersetzt, was andere Änderungen nach sich zog, und eine Zugabe für sieben Frauen beigefügt, in der diese dem vorangegangenen Septett mit Männerklischees entgegnen. Tatsache bleibt aber: Es sind Klischees und Verallgemeinerungen. Tatsache ist ebenso: Die Nummer ist ein Hit. Man kann und will sie nicht streichen – aber man kann versuchen, das inhaltlich Problematische abzufedern.
Vielen Dank für das Gespräch!